martin sein tag

mein sohn und ich verbringen weniger zeit gemeinsam als wir uns wünschen. das kann und darf ich behaupten, denn auf mich trifft es zu und er würde es bejahen, wenn ich den mut hätte ihn zu fragen.
zumindest schützt mich diese feigheit davor heraus zu finden, dass das für ihn schon ok ist, so wie es ist. aber darum gehts hier nicht.
dasselbe gilt auch für meine Tochter, aber dort finde ich behaglichen Platz hinter der Tatsache, dass sie auf komplizierte Fragen und Formulierungen, die eine differenzierte Antwort erfordern, so meine einschätzung, gerne mit: Ja! antwortet. Wiederholt man die Frage wortgenau macht sie das einzig intelligente, sie antwortet mit: Nein!
Meine Tochter ist knapp 2 Jahre alt. Und bestimmt würde sie gerne mehr Zeit mit mir verbringen, Sie weiss es halt nur noch nicht so wirklich. Da geht es ihr ähnlich wie der scharfen Verkäuferin im Rewe.
generell ist ja ein ehrlicher wunsch mehr zeit mit jemandem verbringen zu wollen auch nicht unbedingt ausdruck eines ungestillten verlangens, sondern wohl eher ausdruck der sehnsucht, die immer im spiel ist, wenn man jemanden mag und an ihn denkt. will sagen: ich wünsche mir mehr zeit mit x, ergo chances are: ich mag x ganz dolle.
kompliziert ist das, wenn liebe im spiel ist, kommt ja vor mit kindern, gerade den eigenen, und man stellt fest, dass man diese sehnsucht auch dann empfindet, wenn sie direkt neben einem stehen. hier gilt: chances are: you are fucking distracted, chill the fuck out and meet deine kinder, wo sie generell existieren und wachsen: im hier und jetzt.
solcherlei geht mir vorgestern abend durch den kopf, während mein sohn und ich, bewaffnet mit einer vom ihm in der kita gebastelten laterne durch die verlassenen und spärlich beleuchteten gassen unseres dorfs laufen. nach und nach holt mich seine begeisterung für unseren spaziergang in den augenblick zurück und ich stelle voller glück und ungerechtfertigtem stolz fest: der kleine mann ist richtig glücklich. also leg ich einen drauf und meine: scheiß auf corona, wir machen unseren eigenen martinsumzug zu zweit. er ist so ehrlich begeistert, dass ich heulen könnte, denn mir wird klar, dass ich keine ahnung hatte, wie wichtig ihm der umzug gewesen wäre.
unser schritt wird gleichmäßiger und bestimmter, denn jetzt steht fest: wir latschen nicht einfach mit ner dünnen funzel durch die nacht, nein wir halten eine regionale tradtion hoch. das gibt aufschwung und macht gute laune. mein sohn erklärt mir, dass wir leise sein müssen, denn die meisten unserer nachbarn schliefen bereits. ich gebe ihm recht und frage mich kurz warum kurz vor acht tatsächlich so wenige lichter in den häusern brennen.
wir besuchen die oma, die voller begeisterung die tür öffnet und in einem sekundenbruchteil mittels mimik und körpersprache klar macht, dass sie die tragweite, ja den emotionalen gehalt unserer kleinstveranstaltung (ein haushalt, keine masken) sofort erfasst und es geht ihr nahe. aus irgend einem grund ruft sie sich zur ordnung, vermutlich, weil ihr widerum sofort klar ist, dass mein sohn die freude nicht aus der erklärung des augenblicks zieht sondern aus dem augenblick selbst. also verschwindet sie aus dem türrahmen und setzt omalich einen drauf und hält meinem kurzen eine schüssel mit süßigkeiten hin. der ist ehrlich überrascht und beginnt das potential unserer improvisation zu erahnen. ich bin kurz wahnsinnig stolz, denn er fragt nicht danach, ob wir auch woanders klingeln können.
es folgt eine art gesprächsschlaufe, denn mein sohn nutzt jede abzweigung des offensichtlichen wegs dazu mich intensiv zu befragen, ob ein anderer weg nicht besser wäre, man wolle ja noch ne weile unterwegs sein. er brabbelt so vor sich hin und beginnt zu singen. in endlosschleife singen wir nun bald gemeinsam den satz: ich geh mit meiner laterne. das es hier die möglichkeit gibt die ganze strophe eines existierenden lieds zu singen, interessiert ihn nicht, macht ja auch sinn, das wesentliche steckt ja in der ersten zeile und es passt so gut. also lasse ich mich darauf ein und es dauert gut 30 wiederholungen bis mein zns diese aufgabe an den autopiloten freigibt. ich cruise also so durch die nacht (die laterne halte ich nun mittlerweile, was eine gewisse kognitive erleichterung mit sich bringt, da es nun keine dissonanz mehr gibt zwischen meinem gesang und meinen leeren händen). die frei gewordenen kapazitäten ähneln den schaumig schönen momenten der selbst erlernten meditation: meine wahrnehmung beginnt die inhalte meiner sinne reibungslos und ohne wertung mit den dazugehörigen empfindungen gleichzeitig verfügbar zu machen. ein beispiel: der bewusst spielerische & dennoch vollkommen unschuldige Gang meines sohnes löst ein intensives wohlgefühl und ruhig atmende geborgenheit bei mir aus. es steht mittlerweile felsenfest: das hier war eine spitzenidee. dabei ist nichts, kein element unserer martinsparty besonders oder spektakulär, es ähnelt eher einer beschreibung, die mir ein freund bezüglich meiner schreibe neulich geschenkt hat:
würfeln mit eindrücken, der rahmen ist gesteckt, das
ergebnis überraschend anders.

ich bekomme die häuser und ihre bewohner erklärt, wer welchen hund hat und wir stellen mehrfach ehrlich traurig fest, dass uns die wolken zwar eine angenehme temperatur schenken, aber leider den blick auf die sterne verwehren.(ein weiterer grund das lied nicht weiter zu singen)
der reichtum der situation erschließt sich mir mit einer wohltuenden wucht, die letztlich vor allem über meinen sprachzwang siegt. bsp: alles hier gehört uns gerade, wir gehören allem hier gerade.

ich weiss nicht, ob martin seinen mantel durch ähnliche gefühle moriviert geteilt hat, aber das ist vermutlich auch wurscht. fest steht, seinen mantel zu zerschneiden ohne die bereitwillig lauernde einkaufspassage im rücken ist schon ne ansage und vielleicht, das religiöse hat ja son nen hang, sag ich mal, ja vielleicht ist es nur ne metapher für ein geteiltes erlebnis der wärme.
aber das interessiert meinen sohn zum glück nicht. (mich im Grunde auch nicht – sorry Martin)
klar ist: wenn das unser moment in dieser woche war, dann hat sie ihre balance, vollkommen gleich, welchen schwachsinn sie noch bereit hält und das macht sie, ich kenn sie diese…

das entweder oder (heim)spiel

man weiss es eigentlich. man hat es nur fast nie parat. besser: ich meine, ich weiß es eigentlich, ich denke nur nie dran. noch besser: nachdem ich darauf hingewiesen werde, rede ich mir ein, dass ich es eigentlich doch weiß, es aber immer wieder vergesse. ehrlich: ich verstehe den gedanken, aber er taucht fast nie auf, wenn es darauf ankommt. da er aber so naheliegend und verständlich wirkt, rede ich mir ein, dass ich es weiß, einfach, weil ich dann wie ein klügerer mensch wirke (hauptsächlich vor mir selbst natürlich, interessiert ja sonst auch keinen, oder?)

Harmloses beispiel: Schimmerling mit Philosophia – ein Lied, über das man noch reden könnte, aber eben ein lied, dass ich mir drei vier mal anhöre und merke, dass ich innerlich schwanke zwischen: das ist genial & und das ist belanglos. so geht das hin und her. je öfter ich so pendele, desto differenzierter und besser fühlt sich mein musikgeschmack an, ich bade ein wenig in der wohltuend entspannenden suppe der bewertung von anderen. da ich zu diesem (?) zeitpunkt eine kognitive one man show bin, kommt mir meine meinung natürlich (selbstredend) wichtig vor, oder besser: sie fühlt sich wichtig an. ich versuche nicht wirklich zu einem schluss zu kommen. ich bin einfach damit beschäftigt die eingeredete, spektakuläre bandbreite meines werturteils zu genießen. irgendwie so jedenfalls. ich bemerke gar nicht, dass mein entweder oder spiel nur dazu dient…
ja wozu eigentlich?

also zieh ich eine andere person mit hinein, ich will feiern, dass ich so aufregend zwischen zwei polen mit meiner meinung schwanken kann, ich will feiern, dass ich allein mindestens zwei sein kann. ich bin halt ein verdammt interessanter typ.(simmer doch mal ehrlich – selbstironie ist und bleibt der go to schutzschirm für (zu Recht) antizipierte arroganzvorwürfe)

wie vermutlich die meisten bin ich von einer speziellen musikrichtung vorrangig geprägt wurden als teenager. in meinem fall war das rap / hip hop. ist es noch. ohne probleme höre ich heute noch ein drittklassiges hip hop album. kein ding. wort drauf. sobald ich aber musik aus anderen stilrichtungen höre, dann mutiere ich mal eben fix zum superkritischen & qualifizierten bewerter.
wie hier beim schimmerling und seiner philosophia.
ich komme also nicht einfach zu dem schluss, dass es geil ist oder auch irgendwie geil ist. nein, der herr schwankt dann, wie erwähnt, zwischen dem urteil genial und belanglos. das hört sich nicht nur prätentiös an, in meinem fall, in meinem kopf, ist es das glaube ich auch. aber egal – so bewaffnet schreite ich zum telefon, es ist 22:10, die frage, bzw. mein ergebnis, gehört sofort in einer größeren arena diskutiert.
gut, mal sehen, eigentlich auch nicht, ich weiß von beginn an, wen ich fragen will, hab auch eine begründung parat. (man schraube sich bitte hier etwas aus dem zusammen, was sich bis hier hin über mich ableiten lässt und wird vermutlich nicht so weit weg von der wahrheit landen)
da ich 40 jahre alt bin und kein handysüchtiger adoleszent, verschicke ich keinen praktischen link, sondern eine geschriebene aufforderung man möge doch mal bei imusic nach schimmerling & philosophia suchen und dann ergänze ich meinen aktuellen bewertungsstand.
noch beim tippen fallen mir zwei sachen auf: zum einen empfinde ich eine seltsame befriedigung dabei, dass ich den bandnamen und den songtitel bereits(sic!) auswendig kenne (okayyyyy), gleichzeitig drängt sich die frage auf warum ich meinen eindruck so in den vordergrund stelle. also (?) raus damit.

für einen kurzen moment schwingt die frage nach: warum ich irgendwie nach einer bewertung meiner bewertung frage statt nach dem ersten authentischen eindruck meines per sms verhafteten gegenübers. aber, sag ich mir selbst, is nun mal sms und nicht whattsapp, jetzt kannstes nicht mehr löschen. wie konsequent von mir.

am nächsten morgen habe ich eine antwort erhalten. mit 6 zeilen wird hier geschmack und eloquenz demonstriert und vor allem etwas, dass ich bei all dem nicht auf dem schirm hatte, es nicht mal in erwägung gezogen hatte:
(zitat)
es ist beides

Genial präsentiert, belanglos fürs Große und Ganze, aber wohl wichtig für ihn … jeder einzelne Punkt verdient Respekt…ich mags…
(zitat ende)

fuck, denke ich, er hat recht, es ist beides. das ist ja kein widerspruch.
aber im grunde genommen wusste ich das ja schon….

7 sekunden

die eierkuchen sind kalt. noch keine stunde alt, aber kalt halt. also flappe ich die dinger auf einen teller, es sind 3 stück, und ich laufe in die küche. die mikrowelle ist schnell geöffnet, der teller schnell auf dem glastellerkarusell. dann schmeiße ich die tür zu und drücke auf start. das setzt die mikrowelle für 30 sekunden bei 1000 watt in gang. ich beobachte die digitale zeitangabe. mit jeder sekunde wird die zeit langsamer. es wirkt als kippten die zahlen sichtbar ineinander. 15 sekunden vergehen irgendwie. ich weiss, dass die eierkuchen ziemlich genau 30 sekunden brauchen, um ausreichend erwärmt zu sein. 18 sekunden. meine güte. 19 sekunden. sie drehen sich im düsteren licht der mikrowelle. die mikrowelle brummt, verrichtet ihre arbeit – geht mir so durch den kopf. 21 sekunden, meine fresse, ich wollte eigentlich noch was anderes machen heute außer eierkuchen erwärmen. 22 sekunden, das ist unmenschlich. 23 sekunden: ich reiße die tür auf und nehme den teller raus. ich spühre schon an der daumenspitze, dass es die ganzen 30 sekunden gebraucht hätte. aber jetzt bin ich schon am frühstückstisch. die kinder lärmen vor sich hin. ich bin der letzte, der essen will. ich klatsche das apfelmark auf den ersten eierkuchen, zerschneide ihn und stecke ihn mir in den mund. er ist zu kalt. es ist zum kotzen.

Hefe im Kopf

montag, der 22.3.2020

angst ist die hefe unter den gedanken.

Jedes Gleichgewicht ist dynamisch. Ausgeglichenheit ist eine Form des Gleichgewichts. Du magst das Schwanken nicht spühren, aber es ist da. Andernfalls bist du bereits tot.

Gut, versuch ichs also. Ich versuche mir einen Reim auf die Situation zu machen. Es gilt also ein Denkgeräusch zu machen, dass entweder einer bestimmten Systematik folgt oder eben ähnlich klingt, wie der aktuell zumindest, gefühlte Lärm der Wirklichkeit.

Scheint schnell geklappt zu haben, denn ich bin angesichts der eigenen Gedanken unsicher ob sie Sinn machen. Das mag wie nutzlose Nabelschau klingen – ja es mag nichts als Nabelschau sein – aber nutzlos?

Offenbar backen wir da gerade einen ganz neuen Kuchen. Er ist denkbar einfach und gelingt immer. So schätzungsweise 1 Million Zutaten, sehr viel Hitze und Flüssigkeit, um dann am Ende etwas in den Händen zu halten, dass sich unangeschnitten an keiner Stelle selbst ähnelt.

Da wir aber stammhirngesteuerte Angstmaschinen sind, die nichts so schlecht ertragen, wie eben nichts zu tun, schneide ich das Ding an und siehe da, es spielt keine Rolle wie ich das Messer ansetze – am Ende liegt ein Stück auf meinem Teller, dass a) zu groß für meinen Magen ist und b) ganz klare und eindeutige Muster aufweist.

Vollkommen benebelt und kopfschmerznah fasziniert starre ich auf die Strukturen und Verbindungen, die selbstverständlich absolut Sinn machen und ganz klaren Aufschluss darüber geben, wie er gebacken wurde und warum und natürlich hab ich klare Theorien, wie er schmecken wird.

Das ich ihn selbst in Trance und ohne Befehl gebacken habe ist mir leider entfallen und sei es nur deshalb, weil es den Erklärungen zu wider laufen würde, die sich mühelos aus all den nach wie vor spöttisch eindeutigen Musterchen ergeben.

Also starre ich weiter und erblinde vollkommen für die banalste Tatsache der Welt. Und die lautet: das Zentrum allen Denkens auf der Welt bin ich. Das ich Denken und Kontrolle ständig verwechsle mag man mir nachsehen.

So vergehen Stunden, jedes Stück lässt das Alte erblassen. Ich bin so weg getreten, dass ich nicht einmal bemerke, dass der Kuchen nicht abnimmt – er bleibt einfach was er ist und ändert sich zudem ständig.

Jeden Winkel meiner Gedankengebäude verziere ich mit Mosaiken und Unterschriften, streue LKW Ladungen Brotkrumen auf die spiegelnden Fließen und finde doch keinen Weg zweimal – das beeindruckt aber kein Bisschen, wenn es um das fertige Ergebnis meiner Bemühungen geht: die Überzeugung, dass alles ganz klar ist – das es sich reimt, das es Sinn macht.

Es wird zwei Leben brauchen bis ich in Betracht ziehe: ich könnte das Ding auch einfach kosten.

Aber das ist Humbug.

Diesen Zeilen gehörte eigentlich vornan gestellt, was sie hervor gebracht hat, die Frage nämlich, wie es mir geht, was ich so denke gerade und ob alle gesund sind, die mir wichtig sind.

Nun steht das am Ende, aber sie können ja auch alles noch mal lesen – dann passts.

bis morgen,

dein Dienstag

Back to top